Werbung
Werbung

Nissan Leaf: 40-kWh-Akkus & erneuerte Technik für 378 km NEFZ & 270-285 km WLTP-Reichweite: Kipp-Punkte in der Kälte

Neues Format: Wir testen „Alternative“ in der Praxis. Unser Debut führt von Köln nach Amsterdam und retour – elektrisch, im Winter, mit dem neuen Nissan Leaf. Das klappt durchaus, aber man sollte sich eine Ladestrategie zurechtlegen – und es nicht eilig haben. (Von Johannes Reichel)

Tour Check Nissan Leaf | Bilder: J. Reichel; Nissan
Tour Check Nissan Leaf | Bilder: J. Reichel; Nissan
Werbung
Werbung
Johannes Reichel
Tour Check Nissan Leaf

Grau ist alle Theorie. Leider auch diese Winternacht, die sich der Null-Grad-Grenze nähert und in die wir von Köln HBF aus in Richtung Amsterdam starten. Ein erster Härtetest für den neuen Nissan Leaf, der mit größeren 40-kWh-Akkus und erneuerter Antriebstechnik sowie Steuerelektronik weiter kommen soll denn je: Von 378 Kilometer spricht der Hersteller im NEFZ-Zyklus. Und vergisst nicht, die WLTP-Angaben zu ergänzen, die zwischen 270 und 285 Kilometer liegen sollen. Im Stadtbetrieb will der Nissan sogar 389 bis 415 Kilometer weit reichen, was ihn neben seinem recht großzügigen Platz- und Kofferraumangebot natürlich für „Taxler“ interessant macht.

Aber zurück zu unserem Projekt: Wir starten nach der selbstredend klimaneutralen Bahnanreise aus München in den frühen Kölner Abend, mit 254 Kilometern und 100 Prozent vollem Lithium-Ionen-Speicher – und voller Zuversicht. Die sich steigert, nachdem wir die Heizung deaktiviert haben und einen theoretischen Zuschlag von 20 Kilometer bekommen. In zügigem Lkw-Tempo 90 km/h geht es raus, stets hibbelig auf die Reichweitenanzeige fixiert. Stromautofahren ist anders, viel bewusster um die kostbare Energie, die es zur Überwindung der gar nicht mal vielen Kilometer braucht, hoher Wirkungsrad hin oder her. Irre, wie schnell die anderen an einem vorbeipreschen, Wahnsinn, jetzt laufen sogar Lkw auf, erst recht in Holland geben die Trucks ein Höllentempo.

Aber, hey, schaffen wir’s vielleicht doch nonstop bis Amsterdam? 20 Kilometer Puffer haben wir zwischenzeitlich erobert, durch konsequente Schleichfahrt und eingegliedert in die „rollenden Warenlager“. Doch je mehr das Thermometer sinkt, desto stärker lässt der Akku nach.

Allmählich dreht sich das Verhältnis und irgendwann ist der Kipppunkt erreicht: Das Ziel rückt außerhalb der Reichweite. Na toll, hat sich das Frieren ja gelohnt, fluchen wir und begeben uns auf die Suche nach einer geeigneten Ladestelle. DC sollte es schon sein, damit man nicht in kalter, grauer Winternacht ewig rumstehen muss. Leider erweist sich die integrierte, heillos konfuse Navigation von Nissan mit ihrer Phalanx an Submenüs und Fenster-Fenstern als ebenso fisselig-unübersichtlich wie unkoordiniert. Jagt einen ohne Rücksicht auf Kapazitätsverluste gerne mal in die Gegenrichtung des eigentlichen Ziels, nur weil „Ladestellen in der Nähe“ entdeckt wurden. Außerdem weiß man irgendwann gar nicht mehr, ob jetzt noch das Gesamtziel im Speicher ist oder das Zwischenziel.

Puh, langsam wird’s wirklich eng, hätten wir doch gleich die schicke „Fastned“-Station an der A 12 genommen, denkt man sich. Aber das war noch ein bisschen früh. Und als E-Autofahrer will man schon auch jedes Quantum der raren Energie ausnutzen. Aber gleich so?! Nach einer navigationsbedingten Ehrenrunde durch Utrecht und einem leider geschlossenen ANBW-Betriebshof (versprach kostenlos DC-Strom!) erreichen wir mit „Strich 0“ und sagenhaften ein Prozent Rest nach 243 verfrorenen Kilometern und mit 14,4 kWh/100 km Stromverbrauch eine gewöhnlich erscheinende BP-Tankstelle an einem der vielen Kreisverkehre.

Und siehe da, immerhin hier irrte die Navigation nicht: Tatsächlich findet sich, wo an deutschen Tankstellen Batterien von Staubsaugern logieren, eine Doppelsäule mit DC-Schnellladeanschluss und 500-Volt-Power. Alles wird gut? Naja, wie man’s nimmt. Anfangs lädt die Säule rasant los, der Balken schnellt auf fünf Prozent. Der Stecker verliert aber irgendwann den Kontakt. Kein Wunder, bei dem ausgenackelten Hebel. Gut, dass wir nochmal nachgesehen haben und erneut starten.

Währenddessen wärmen wir uns bei einem Becher Tee im neoncharmanten Tankstellenshop an der Herculesplein auf. Abrechnung? „Kostet immer sechs Euro, halbvoll oder voll“, quittiert der Tankwart lakonisch unser Wedeln mit dem „Plugsurfing“-Chip. Apropos: Quittung über die Strommenge gibt’s auch nicht. So viel Zeit haben wir aber nicht. Also, bis auf 54 Prozent aufgeladen, das muss reichen – 40 Kilometer bis Amsterdam. Jetzt gönnen wir uns zur Feier des eisigen Abends auch ein bisschen Heizung, ist ja sonst wie anno dazumal im VW Passat II Diesel: klamme Finger, Scheibe kratzen, eisiger Hauch.

Dabei ist der Nissan eigentlich ein sehr kommodes Fahrzeug, der Antrieb naturgemäß flüsterleise und auch im Eco-Modus flott, die Federung manchmal etwas kantig, dafür flott im Kurvenhandling, liegt wie ein Brett und verwindungssteif wie die sprichwörtliche Burg. Außerdem rollt der Leaf leicht, wie ein Blatt fliegt. Auch dank guter Aerodynamik spielt er windhundmäßig mit den widerstrebenden Elementen.

Qualitativ hat sich der Leaf gemausert und der Hersteller versucht recht erfolgreich zu kaschieren, dass man für die teure E-Technik eben hier und da hartes Plastik (leider auch am Fenstersims) statt überschäumter Kunststoffe nehmen muss. Die Sitze sind dafür tipptopp. Und wenn man erstmal das kryptische Symbol für den „teilautonomen Fahrbetrieb“ entschlüsselt hat, nimmt einem der Nissan auch einem elektromobilen Vorreiter gemäß vieles ab: korrigiert den Lenkwinkel, hält den Abstand zum Vorausfahrenden – in Lkw-Kolonnen sehr segensreich –, warnt vor Objekten im toten Winkel und wirft beim Rangieren ein 360-Grad-Kamerabild auf den serienmäßigen Matt-Touchscreen. Der ist leider mäßig präzise bedienbar und von träger Reaktion. Im „Autopilot“ kann man auch mal den kalten „Gasfuß“ ausschütteln und den Rest entspannt runterrollen. Bis wir in der Parkgarage Waterlooplein hinter einem Tesla Model S den zweiten Slot an der Wallbox mit dem Plugsurfing-Chip entriegeln. Pferdefuß des warmen Stellplatzes: Über Nacht pulverisieren sich 40 Euro in Parkgebühren. Den Verbrenner hätten wir draußen geparkt, eiskalt.

Retour wählen wir eine andere Strategie: In einem Rutsch geht’s ohnehin nicht, jedenfalls im Winter, auch wenn die Anzeige anfangs exakt 261 Kilometer bis Köln HBF ausweist. Also, gleich „One-Stop-Boxenstrategie“, Heizung moderat an und Tempomat auf 100 bis 110 km/h, womit wir immerhin solide an den Lkw vorbeiziehen und uns nicht mehr als rollendes Verkehrshindernis fühlen müssen. Der anfängliche Abschlag bei den Kilometern nivelliert sich im Laufe der Fahrt, wenn erstmal die Wärmepumpe auf Touren kommt. Außerdem scheint draußen die Sonne, es ist nicht mehr so bitterkalt. Dafür schmilzt bei diesem Tempo die Reichweite, nicht rasant, aber plausibel. Dauerbetrieb jenseits der 90 km/h, das ist nicht das Metier der Stromer. Ein Himmelreich für einen Wasserstoffantrieb … Dem hohen Tempo zollen auch die zahlreichen Tesla-Fahrer Tribut, zu denen wir uns in Arnheim probeweise gesellen. Einer macht ein Nickerchen in seinem Hochvolt-Renner, der andere hat sich büromäßig eingerichtet. Man kann’s ja mal versuchen, zumindest der Typ-2-Stecker passt ja in unseren Nissan. Aber, vergiss es: Lautes Fiepen des Fahrzeugs sowie der scharfe Hinweis eines Tesla-Piloten machen uns deutlich: „Members Only!“ Immerhin wird uns glasklar, wie visionär Elons Idee ist, das Auto mit „exklusiver“ Infrastruktur zu verquicken. „Think Big“.

Doch zurück in unsere kleinbürgerliche E-Autowelt. Die verwirrende Nissan-Bordnavigation mit ihren Dutzenden von auch nur entfernt relevanten Ladesäulen– in Amsterdam schießen blaue Stecker wie Tulpen aus dem Screen – haben wir nach einer weiteren „Ehrenrunde“ in die falsche Richtung deaktiviert. Und fragen uns beim Rückabwickeln der unnötigen Kilometer, warum es eigentlich noch keine Hinweisschilder an den Autobahnen auf „nahe E-Lademöglichkeiten“ gibt, die wären konkret hilfreicher als jede App.

Und so greifen wir stattdessen auf die cleveren Smartphone-Tools zurück. NewMotion, nicht umsonst ein niederländisches Start-up, lotst uns zielsicher zu einem sonst kaum auffindbaren, unscheinbaren Betriebsparkplatz vor einer Raffinerie, wo tatsächlich eine Allego-Säule unser Herz höherschlagen lässt: Wow, sogar mit CHAdeMO-Anschluss! Ein weiteres Mal funktioniert unser Plugsurfing-Chip problemlos, der Lader legt noch rasanter los wie an der BP-Tanke am Vorabend. Aber auch hier gilt: Direkte Quittung über die Kosten gibt’s nicht. Weil man vorsichtig wird als E-Auto-Pilot, lässt man es sicherheitshalber mal am Kabel, bis der auf den letzten Minuten bekanntermaßen zähe Ladeverlauf sich auf 99 Prozent gehievt hat. Von 40 auf 238 Kilometer in 68 Minuten, das ist ok, zumal für günstige 7,80 Euro. Aber wie gesagt, eilig sollte man es nicht haben.

Eine Runde zur nahen Fossil-Tankstelle, ein „Hatsch“ über den Lkw-Parkplatz am Fluss, aus der Not macht man als (Herum-)Stromer eine Tugend. Die Entdeckung der Langsamkeit – und die von Arnheims mittelhübscher Industrieperipherie namens Kleefse Waard. Da warten wir dann.

Und was soll man sagen, es erweist sich als weise, lieber ein paar Kilometer mehr Strom gebunkert zu haben bis Köln. Denn irgendwie zählen Autobahnkilometer nicht doppelt, aber gefühlt fast: 139 Kilometer von Arnheim bis Köln sind bis auf 40 „runter“. Auf 15,5 kW/h ist entsprechend der Gesamtverbrauch über die 620 Kilometer angestiegen, für die wir netto 9:38 auf Achse waren, sprich 64 km/h im Schnitt, wie gesagt, gehobenes Lastertempo.

Weise auch deshalb: Als wir mit 16 Prozent Akku in der Parkgarage eines Hotels den freundlichen, weil kostenlosen Ladeslot von TankE (Rheinenergie) in Anspruch nehmen wollen, bleibt die zur Registrierung nötige Charge-App hängen. Ladeklappe, öffne dich! Wir haben es dem Kollegen versprochen, der mit dem Auto noch retour zu Nissan nach Brühl will. Sei’s drum, 40 Kilometer im Gezuckel der Stadt, hier hält der Leaf ja angeblich doppelt lange. Autobahn dagegen mag er nur, wenn Stau ist oder zähfließender Verkehr, wo auch die Stunde des grimmig verzögernden, daher nützlichen Einpedal-Modus schlägt. In Anbetracht der vielen zähfließenden Passagen ist der Leaf auch schon wieder ein perfekt in die Zeit passendes Produkt. Aber ein paar mehr Kilometer Reichweite hätten die Schöpfer ihm schon gönnen können, damit man zum Beispiel schneller von Köln nach Amsterdam kommt, in einer kalten Winternacht, ohne Nach(t)laden. So ist gute Ladeplanung weiter erste E-Mobilisten-Pflicht.

Technische Daten Nissan Leaf

Antrieb Elektromotor 110 kW (150 PS), 320 Nm Drehmoment, stufenloses Automatikgetr., Vorderradantrieb, Li-Io-Akku 40 kWh
Maße LxBxH: 4.490x1.788x1.530 mm, Gewicht: 1.580 kg, zul. GG: 1.995 kg, Kofferraum: 385-420 l
Wartung 30.000 km, 12 Monate
Verbrauch Test (620 km): 15,5 kWh/100 km, Verbrauch Werk (NEFZ/WLTP): 15,2 kWh/100 km/20,6 kWh/100 km, Strommengen/Kosten: 20/26/27,3/kWh, 15,50/7,80/19,30 Euro
Preis Nissan Leaf Tekna 40 kWh: 39.850 Euro, Grundpreis Leaf: 31.950 Euro

+ leiser Antrieb, geräumige Karosserie, agiles Handling
- noch zu geringe Reichweite, unübersichtliche Ladenavigation im Fahrzeug

◂ Heft-Navigation ▸

Artikel Nissan Leaf: 40-kWh-Akkus & erneuerte Technik für 378 km NEFZ & 270-285 km WLTP-Reichweite: Kipp-Punkte in der Kälte
Seite 38 bis 40 | Rubrik mobilität
Werbung
Werbung