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Bundesverwaltungsgericht stellt Dieselfahrverboten im Busgewerbe nicht mehr länger entgegen

Europas ÖPNV hat sich auf den Weg gemacht – Richtung elektromobiles Zeitalter. 
2018 markiert den Wendepunkt, ein Zurück wird es nicht geben. (Von Claus Bünnagel)

ELECTRIC | Bilder: C. Bünnagel; Daimler; VDL Bus und Coach; Volvo Bus
ELECTRIC | Bilder: C. Bünnagel; Daimler; VDL Bus und Coach; Volvo Bus
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Redaktion (allg.)
ELEKTROBUSSE

Man mag es frei nach Galileo Galilei formulieren: Und sie bewegt sich doch! Bislang stand der Globus des deutschen Nahverkehrs eher zentral und fest im Universum. Die Branche mochte keine tiefgreifenden Veränderungen – und mag sie weiterhin nicht. Doch sie wird nicht umhinkommen. Denn im Zuge des Abgasskandals ist sie in einer Art „Kollateralschaden“ quasi mit in den Fokus geraten. Spätestens das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.2.2018 zu möglichen Dieselfahrverboten hat die bis dato mächtige Verbrennerphalanx im Busgewerbe endgültig ins Wanken gebracht.

Gleichzeitig müssen nun Politik und Bushersteller liefern. Erstere hat den Bus nach der kostenintensiven Wiedervereinigung mehr als stiefmütterlich behandelt. Die Mittel zur Fahrzeugbeschaffung aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz waren seit 1997 bei 333 Millionen Euro im Jahr eingefroren. So billig wird die Regierung nun nicht mehr davonkommen, will sie das als Folge des Dieselgipfels am 28. November 2017 verkündete „Sofortprogramm Saubere Luft 2017-2020“ wirklich durchziehen. Konkret fördert das Bundesumweltministerium in dessen Rahmen die Anschaffung von mehr als fünf Elektrobussen mit bis zu 80 Prozent der Investitionsmehrkosten. Die betragen pro Solobus rund 250.000 und pro Gelenkzug rund 350.000 Euro. Bei rund 3.000 zu beschaffenden Einheiten pro anno kommen so Mehrkosten von rund 750 Millionen Euro zusammen.

Und nicht einmalig, wie die Politik derzeit vielleicht hofft, sondern Jahr für Jahr, mindestens über die nächste Dekade, denn die Systemkosten vor allem hinsichtlich der Batterien werden nur langsam sinken. Hinzu kommen Aufwendungen in womöglich ähnlicher Größe für neue Umspannwerke und die nötige Ladeinfrastruktur.

Vorbild Niederlande: 
Klotzen statt Kleckern
Wer beim „fördern“ hierzulande wissen möchte, wie’s gemacht wird, sollte den Blick gen Niederlande werfen: Beim Fußball mag es dort derzeit nicht so rund laufen, dafür steht der dortige ÖPNV in einigen Städten und Regionen bereits stark unter Strom. In Eindhoven laufen seit vergangenem Jahr 43 E-Gelenkbusse des heimischen Herstellers VDL im nahezu reibungslosen Dauereinsatz mit Tagesleistungen von bis zu 300 Kilometer – dank Energieversorgung per Schnellladen am Tag und Langsamladen in der Nacht, jeweils im zentral gelegenen Busdepot. Noch weiter ging Amsterdam seit Ende März mit Europas größter Elektrobusflotte: Nicht weniger als 100 elektrische VDL-Citea-Gelenkbusse sind seitdem auf und um den Flughafen Schiphol sowie in Amstelland-Meerlanden im Einsatz. Mit gewaltigen maximalen 420 kW Leistung werden sie am Tag geladen. Das bedeutet, dass selbst die leere 169-kWh-Batterie in maximal 20 Minuten für die nächste Fahrt mit Energie versorgt wird. Neben 23 Heliox-Schnellladern, die über vier strategische Ladestellen im Einsatzbereich verteilt sind, gibt es im Betriebshof 84 Heliox-Depotlader (30 kW).

Europas E-Bushauptstadt ist die Kohlestadt Jaworzno
Eigentliche E-Bus-Hauptstadt Europas ist jedoch nicht die Metropole Amsterdam, sondern das schlesische Jaworzno. Ja, Sie lesen richtig! Denn nimmt man den Anteil lokal emissionsfreier Einheiten am Gesamtfuhrpark, liegt das 92.000-Einwohner-Städtchen zwischen Kattowitz und Krakau spätestens im kommenden Jahr vorne. Findige Lokalpolitiker im Verbund mit den Verantwortlichen des Verkehrsunternehmens PKM fanden vor vier Jahren heraus, dass sie über EU-Mittel günstiger an Elektro- als an Dieselbusse herankämen. Seitdem sind 24 von derzeit 59 PKM-Einheiten elektrifiziert, 2018/19 werden 20 weitere Stromer – wiederum vom polnischen Hersteller Solaris – hinzukommen. Allerdings zeigt das Beispiel Jaworzno gleichzeitig, wie das Thema Bus und Elektromobilität ad absurdum geführt werden kann: Denn das Städtchen liegt mitten im oberschlesischen Industriegebiet, einem der größten Umweltsünder Europas. Vis-à-vis zum lokalen Busdepot grüßt der nächste Förderturm, und selbstverständlich fahren die vermeintlich grünen Busse hier mit reinem Kohlestrom.

Daimlers E-Citaro lässt 
noch einige Fragen offen
Doch Genörgel am europäischen Ausland ist fehl am Platz. Denn Deutschland hat mit den Busgrößen MAN und Mercedes-Benz lange genug gebremst bei der Entwicklung tragfähiger E-Mobilitätskonzepte im ÖPNV. Das hatte nicht nur Auswirkungen auf die hiesige Branche, denn Daimler ist mit seinen beiden Marken Mercedes-Benz und Setra der wohl wichtigste Busproduzent der Welt mit erheblichen technischen Möglichkeiten und Potenzialen. Damit ließen sich Marktentwicklungen nachhaltig beeinflussen.

Immerhin hat jetzt auch Daimler den ersten E-Bus auf die Räder gestellt. Wenngleich der elektrische Citaro viele Fragen offenlässt, ist er doch ein direkter Bruder der Dieselversion, nur mit elektrischer Ausrüstung. Der Hauptkritikpunkt betrifft die eher bescheidene Akkukapazität von maximal 243 kWh. Die reicht aktuell gerade 150 Kilometer weit, bei Minusgraden bleiben davon nur 110 Kilometer übrig – und der niedrigste Tagesumlaufwert im Jahr ist es schließlich, den die Verkehrsunternehmen als wichtigste Einheit für ihre Linienplanung heranziehen. Gleichzeitig müssen sie berechnen, dass bis zum Akkutausch nach sechs bis acht Jahren oder 360.000 bis 480.000 Kilometern die Kapazität der Batterie auf rund 80 bis 85 Prozent gefallen sein könnte. Dann würde der E-Citaro im Winter keine 100 Kilometer mehr schaffen. Bleibt zu hoffen, dass die neuesten Akasol-Akkus mit höherer Energiedichte diese Werte bis zum Serienstart noch erhöhen. Akasol verspricht bis zu 35 Prozent mehr Reichweite, womit der Citaro zwischen 135 und 200 Kilometer weit käme.

Große Unterschiede bei der Akkutechnik
Woran liegt das? Zum einen verwendet Daimler im Vorserienbus prismatische Lithium-Ionen-Zellen von Samsung mit Lithium-Nickel-Mangan-Kobaltoxid (NMC) als Kathodenmaterial. Die prismatischen Zellen sind allerdings den zylindrischen noch unterlegen; letztere verwendet beispielsweise Panasonic in Form seines 18650er- und ganz neu 2170er-Formats, etwa im Model 3 von Tesla. Das ermöglicht Energiedichten von 200 bis 350 Wh/kg und Zellkosten von derzeit rund 115 Euro/kWh. Im Gegensatz dazu kommen prismatische Zellen aktuell nur auf Energiedichten von 100 bis 180 Wh/kg bei Kosten von 200 bis 300 Euro/kWh. Allein die 243-kW-Traktionsbatterie im Citaro dürfte daher – das Batteriepackaging einberechnet – um die 100.000 Euro kosten und bis zu 2,5 Tonnen wiegen. Der 650 Kilogramm schwere OM-936-Diesel im Standard-Citaro bringt samt ZF-Automat EcoLife (350 Kilogramm) rund eine Tonne auf die Waage.

Darum wiegt der E-Citaro inklusive der anderen notwendigen Ausrüstungen, wie die Acht-Tonnen-Vorder- und die E-Antriebsachse sowie die Leistungselektronik und Batteriekühlung, leer rund 13,7 Tonnen – der Diesel ist rund 2,2 Tonnen leichter! Dies ermöglicht maximal 
80 bis 85 Passagiere bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 19,5 Tonnen. Das reicht aus, weniger darf es nach Maßgabe der ÖPNV-Unternehmen aber nicht sein. So sind die Stuttgarter auch limitiert, was die Steigerung der Batteriegröße und Reichweite angeht. Entsprechend muss die aus der Leistungsdichte der Akkus kommen. Hier rächt es sich zudem, dass sie in den vergangenen Jahren vergleichsweise wenig in Leichtbauweise investiert haben.

Andere Hersteller sind weiter, was das Batteriepackaging angeht. Volvo lies dem Prototypen Electricity nach längerem Zögern jetzt sehr schnell die Elektro- und Hybrid-Serienversionen des 7900 folgen. Und der E-Bus-Spezialist Sileo beispielsweise bietet für seine Modelle vom Midi- bis zum Doppelgelenkstromer Akkugrößen von bis zu 550 kWh an. Gleichzeitig hat das deutsch-türkische Unternehmen aus Salzgitter die Energiedichte seiner Batterien ohne Gewichtszunahme bei der aktuellen Modellreihe von 85 auf 134 Wh/kg gegenüber dem Vorgänger gesteigert, was einen spürbaren Reichweitenzuwachs ermöglicht.

MAN startet bei seinem elektrischen Lion’s City, der zur IAA 2018 präsentiert wird, direkt mit maximal sechs Batteriepacks und 470 kWh. Auch wenn zur Schonung der Zellen davon nur 300 kWh genutzt werden sollen, sind so bis zu 200 Kilometer Tagesreichweite drin, denn die Münchner setzen auf einen fossilen Zusatzheizer von Valeo. Der entsprechende Gelenkbus wird 630-kWh-Akkus an Bord haben, wovon rund 400 kWh nutzbar sind. Allerdings kommt der Elektrolöwe wohl erst 2020 wirklich auf die Straße. Dann sind die gerade gestarteten ersten Beschaffungsrunden von Großkunden wie der Hamburger Hochbahn, die jetzt 20 E-Citaro orderte, oder der Berliner BVG gelaufen. Bei einer Dieselbusausschreibung wäre das ärgerlich, aber kein Beinbruch, dann ist man eben in der nächsten Runde wieder dabei. Noch allerdings bedeutet der E-Bus-Einsatz einen komplexen Richtungswechsel. Und den gehen die meisten Verkehrsunternehmen, das zeigt die angelaufene Startphase der letzten zwei bis drei Jahre, vorerst lieber mit einem Systempartner. Und der heißt im Moment oft VDL, Solaris, Sileo oder Irizar.

Die Basken wollen groß ins deutsche ÖPNV-Geschäft einsteigen und haben sich mit Ferrostaal einen hiesigen Partner gesucht, der den Markt nicht zuletzt aus den Jahren unter dem MAN-Dach gut kennt. Gerade erst hat Irizar im baskischen Aduna eine Fabrik nur für die E-Bus-Produktion aus dem Boden gestampft – in dieser Größenordnung und Fokussierung ein Novum in Europa. Ein Sahnestück kann der E-Citaro allerdings für sich verbuchen: Er verfügt über die erste CO2-Wärmepumpe der Welt für Busse. Ohne dieses Konvekta-Produkt wäre der Energiebedarf fürs Heizen viel höher, was merklich Reichweite kosten würde. Zudem ist Kohlendioxid mit einem GWP-Wert von eins das umweltfreundlichste bekannte Kältemittel. Zum Vergleich: Das bislang in Busklimaanlagen verwendete R134a besitzt einen GWP-Wert von 3.710. Je höher der ausfällt, desto schlechter.

Wie die Erfahrung der E-Bus-Anfänge in der zurückliegenden Dekade zeigt, ist das Heizen das neuralgische Thema. Um bei Minustemperaturen den Fahrgastraum zu wärmen, verschlingen Elektroheizer bis zu 50 Prozent des für den Fahrzeugvortrieb benötigten Energiebedarfs. Beim Konvekta-Aggregat sind Einsparungen im Bereich von bis zu 40 Prozent möglich. So braucht der Citaro laut Daimler statt 2,8 nur rund 2,0 kWh/km für Fahrzeugvortrieb und Heizen bei frostigem Wetter.

Das Klimatisieren gehört zu den größten Stromfressern
Gerade das Beispiel Heizen zeigt: Noch sind nicht alle Probleme für einen flächendeckenden Nahverkehr mit E-Bussen gelöst. Doch findige Entwickler und Firmen sind auf dem besten Weg, um entscheidende Lösungen in den nächsten fünf Jahren bereitzuhalten. Und die ÖPNV-Branche hat sich gleichzeitig aufgemacht hin zu einem strukturellen Wandel, der ihr Gesicht verändern wird – und womöglich gleichzeitig ihr negatives Image aufbessern kann. Und das Thema E-Bus endet nicht beim öffentlichen Personennahverkehr: Die chinesischen Hersteller BYD und Yutong sind bereits mit ersten E-Reisebussen auf dem Markt – und FlixBus springt umgehend auf diesen Zug auf und bietet bald jeweils eine Fernbuslinie in Frankreich und Deutschland an, die ausschließlich elektrisch betrieben werden soll.

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Artikel Bundesverwaltungsgericht stellt Dieselfahrverboten im Busgewerbe nicht mehr länger entgegen
Seite 78 bis 80 | Rubrik Infrastruktur
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